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Nachruf: Hans-Bernhard Wuermeling (1927–2019)

Kategorie: AEM-Info, Allgemein


Ethik Med (2019) 31:A8–A12

NACHRUF

Hans-Bernhard Wuermeling (1927–2019):
Arzt – Rechtsmediziner – Gründungspräsident der „Akademie für Ethik in der Medizin“


Andreas Frewer

Prof. Dr. med. Andreas Frewer, M. A.
Professur für Ethik in der Medizin
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Glückstraße 10, 91054 Erlangen, Deutschland
andreas.frewer@fau.de

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019

Am 31. Januar 2019 ist Prof. Dr. med. Hans-Bernhard Wuermeling im Alter von fast 92 Jahren gestorben. Viele Menschen kannten ihn von öffentlichen Diskussionen zum Fall des „Erlanger Babys“ oder aus engagierten Publikationen zur Medizinethik – nur wenige wissen, dass er der erste Präsident der „Akademie für Ethik in der Medizin e. V.“ war. Diese Fachgesellschaft konnte 1986 in Erlangen ins Vereinsregister eingetragen werden. Hans-Bernhard Wuermeling wurde am 6. Februar 1927 in Berlin geboren. Er war der älteste Sohn von Maria und Franz-Josef Wuermeling (1900–1986), der später für die CDU Bundesfamilienminister im Kabinett Adenauer war (1953–1962). Zusammen mit vier Geschwistern erlebte er seine Kindheit in einem katholisch geprägten Elternhaus. Es wurde aber keineswegs eine leichte Jugendzeit, denn im Alter von zwölf Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Mit 14 Jahren musste Hans-Bernhard in der Folge Elternhaus wie auch Schule verlassen, um bei der Kinderlandverschickung in einem Lager zu helfen. Im Alter von 16 Jahren wurde er 1943 bis 1944 als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Dabei sollte er Werke in Rüsselsheim und zuletzt sogar die bekannte Rheinbrücke bei Remagen schützen. Gegen Ende des Krieges wurde der 17-jährige Wuermeling von den Nationalsozialisten noch zum Reichsarbeitsdienst (RAD) herangezogen, konnte aber wenigstens im Dezember 1944 wieder im Kreis seiner Familie in Linz am Rhein sein. Nach Kriegsende arbeitete er für die Amerikaner als Dolmetscher und holte am Gymnasium in Linz die Abiturprüfung nach. Dies waren insgesamt sicher sehr schwierige und vielschichtige Erfahrungen. In der Danksagung zur Traueranzeige wird es auch mit folgenden Worten berührt: „Der Verstorbene hat die völlig aus den Fugen geratene Welt dennoch dankbar als eine erlebt, in der jede gute Fügung die andere ablöste“.  1946 begann Wuermeling ein Medizinstudium in Marburg und wechselte später nach Tübingen. Das Staatsexamen konnte er bereits im Jahr 1951 ablegen. Für die Assistentenzeit war er in der Folge wiederum in Marburg an der Lahn und in Freiburg im Breisgau tätig – Wuermeling mochte kleinere Großstädte, die traditionsreichen Universitätshochburgen. Mit Datum vom 27. Februar 1953 konnte der 26-jährige
Jungarzt mit der Studie „Das Schicksal der konservativ und chirurgisch behandelten Pylorospastiker“ an der Medizinischen Fakultät in Marburg seine Dissertation verteidigen (Wuermeling 1953). Doktorvater war Prof. Rudolf Zenker (1903–1984), Leiter der Chirurgie an der Universität Marburg; dieser dynamische Operateur führte 1969 in München die erste deutsche Herztransplantation durch, wobei der Empfänger wohl infolge einer Vorschädigung des Organs nur etwas mehr als einen Tag überlebte. Mit dem Wechsel an die Universität in Freiburg wurde Wuermeling Assistent am Pathologischen Institut und in der Folge Arzt der dortigen Universitätsklinik. Der Pathologe Franz Büchner (1895–1991) wurde ihm während der Freiburger Zeit nach eigenen Aussagen zu einem besonderen Vorbild; dieser katholische Mediziner – wegen seiner aufrecht-kritischen Positionen in der NS-Zeit auch als „Heiliger Franz“ bezeichnet – prägte Wuermeling als Hochschullehrer. Hier waren Refl exionen zur Medizinethik, etwa Büchners Vortrag „Der Eid des Hippokrates“ gegen die NS-„Euthanasie“ (Büchner 1945), sicher ein besonderes Charakteristikum und anregend für den jungen Wuermeling. Dreißigjährig wechselte er als Assistent ans Freiburger Institut für Rechtsmedizin zur fachärztlichen Weiterbildung. Diese absolvierte er zuerst unter Prof. Günther Weyrich (1898–1998), später unter Leitung von Prof. Wolfgang Spann (1921–2013). 1966 erfolgte die Habilitation zum Thema „Alkoholresorption und Blutalkoholgehalt“; er wurde Oberarzt und konnte 1972 den Titel „außerplanmäßiger Professor“ erlangen. Schon als Spann 1969 nach München wechselte, vertrat Wuermeling den Lehrstuhl und wurde kommissarisch Institutsleiter in Freiburg. Nach vier Jahren folgte er 1973 einem Ruf an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) auf das Ordinariat für Rechtsmedizin. Wuermeling sollte in Nordbayern den Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Laufbahn erreichen und das dortige Institut mehr als zwei Jahrzehnte leiten. An der Friderico-Alexandrina wurde er von 1982 bis 1986 sogar Prorektor (Vizepräsident) der Universität. Rechtsmedizinische Arbeitsschwerpunkte waren Alkoholphysiologie und Verkehrsmedizin; er war darüber hinaus aber auch in besonderer Weise für medizinethische Fragen engagiert. Der Autor des vorliegenden Beitrags hat als junger Philosophie- und Medizinstudent wiederholt seine Vortragszyklen „Ärztliche und Bioethik“ erlebt. Wuermeling war ein überzeugender Redner und wusste seine Vorträge auch immer wieder mit geeigneten literarischen Beispielen zu illustrieren. Die Initiative von Erlanger Medizinstudierenden zum „Studentenverband Ethik in der Medizin“ (SEM, gegründet 1990) unterstützte er gerne und wurde als Referent der „Erlanger Studientage“ auch mehrfach Mitautor der ersten Publikationen (Wuermeling 1993, 1994). Diese Pionierphase der Medizinethik war immer wieder durch grundsätzliche Debatten um die Lebensgrenzen geprägt; für internationale Kontroversen sorgten etwa die umstrittenen Thesen von Peter Singer (*1946), dessen Präferenzutilitarismus Wuermeling klar kritisierte. Den Rechtsmediziner bewegten speziell Fetozid, Gentherapie, IvF und PID (Wuermeling 2002) sowie Patientenverfügung, Hirntod und Sterbehilfe (Wuermeling 1988, 1997a/b, 2009). Diese moralischen Fragen an den Grenzen menschlichen Lebens traten in besonderer Weise 1992 in Koinzidenz auf im Fall der hirntoten Schwangeren an der eigenen Klinik („Erlanger Baby“). Wuermeling wurde als Mitglied der Ethikkommission der Fakultät und Vorsitzender der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer (1988–1999) Sprecher eines fünfköpfi gen Ad-hoc-Konsils (das Klinische Ethikkomitee am UK Erlangen existierte damals noch nicht) und erklärte immer wieder das ärztliche Vorgehen in der Öffentlichkeit bzw. auf Fachforen (Bockenheimer-Lucius und Seidler 1993; Echinger 2014; Frewer 2019). An diesen „Erlanger Fall“ schlossen sich Folgedebatten um das Lebensende an, bei denen Wuermelings Positionen weiter im Fokus öffentlicher Kontroversen stand: Wann ist der Mensch tot? Der Philosoph Hans Jonas (1903–1993) richtete als Freund in der Diskussion um den Hirntod einen öffentlichen „Brief an Hans-Bernhard Wuermeling“ (Jonas 1994). 1995 wurde er emeritiert, blieb gleichwohl auf mehreren Ebenen für seine Profession und gerade zur Medizinethik aktiv. Aus seiner vielfältigen Gremientätigkeit seien nur die Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer und in der Enquete-Kommission „Grenzsituationen des Lebens“ im Thüringer Landtag erwähnt. Dies brachte ihm letztlich breite Wertschätzung und als Ehrung auch die „Paracelsus-Medaille“ ein, die höchste Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft, verliehen auf dem 115. Ärztetag in Nürnberg (Hibbeler 2012; Präsident/ Vorstand der BÄK 2012). Seine katholischen medizinethischen Positionen mochten dabei nicht immer allen gefallen, etwa in Bezug auf Lebensschutz oder Homosexualität, aber Wuermeling war – auch als Leiter der Programmkommission der Katholischen Ärztearbeit Deutschlands – seinen Prinzipien treu. Er pfl egte zudem langjährige Fachkontakte und Freundschaften (u. a. durch Rundbriefe zum Jahresende). Zuletzt gab es mit ihm Austausch wegen seiner Beiträge im Handbuch „Sterben und Tod“ (Wuermeling 2010); hier stand eine Aktualisierung zur Neuaufl age an, aber der gefragte Mitautor ahnte wohl schon, dass ihm dies nicht mehr möglich sein würde. Der gleichermaßen bekannte wie populäre „Wuermeling-Pass“, der kinderreichen Familien vergünstigte Bahnfahrten ermöglichte, geht zwar auf seinen Vater zurück, mit sechs Kindern, einem Pflegekind, 25 Enkeln und bereits fünf Urenkeln ist Hans-Bernhard Wuermeling aber auch eine außergewöhnlich große Familie geschenkt worden. Nach dem Tod der ersten Ehefrau Hannemarie 1991 hat er vier Jahre später nochmals geheiratet: Gemeinsam mit der Philosophin Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (*1945) konnte er überdies noch Veröffentlichungen im Spannungsfeld von Theologie und Gesellschaft erarbeiten, was ihm ein wichtiges Anliegen war. Für die Traueranzeige hat die Familie ein Zitat aus dem 17. Jahrhundert gewählt: „Hilf, daß ich rede stets, womit ich kann bestehen; laß kein unnützlich Wort aus meinem Munde gehen; und wenn in meinem Amt ich reden soll und muß, so gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn’ Verdruß“ (Johann Heermann, 1630). Dies trifft sicherlich in besonderer Weise auf den Verstorbenen zu: Er wählte seine Worte mit Bedacht, hatte ein ruhiges und warmherziges Wesen, konnte eindrucksvolle Vorträge halten und Studierende wie auch die Ärzteschaft inspirieren (Korzilius 2019). Die Gründung der Akademie für Ethik in der Medizin mit weiteren 17 Persönlichkeiten war in dieser Hinsicht wohl der nachhaltigste Impuls in der frühen Phase der Institutionalisierung des Faches. Mit Hans-Bernhard Wuermeling verliert die Medizinethik einen ihrer Pioniere und die Akademie eine tatkräftige Persönlichkeit der Anfangsjahre. In der Traueranzeige wurde in seinem Namen anstatt von Blumen um eine Spende für „Pro Femina e. V.“ gebeten, eine Beratungsorganisation, die weder vom Staat noch von der Kirche unterstützt wird – auch hier ging es Wuermeling um Medizin und Moral. Die Medizinische Fakultät der FAU hat ihn in der Februar-Sitzung gewürdigt: Der Dekan erinnerte an Leben und Wirken des angesehenen Gelehrten, mit einer Schweigeminute gedachte der Fakultätsrat des Verstorbenen (14.02.2019). Ärzteschaft, Freunde und Mitglieder der Akademie für Ethik in der Medizin werden ihm ein ehrendes Andenken
bewahren.

Danksagung
Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz sei herzlicher Dank gesagt für die Zusendung von biographischen Unterlagen wie auch für Hinweise zu einzelnen Details des Lebenslaufs. Außerdem möchte ich Dr. Gisela Bockenheimer-Lucius, MAE (Medizinethikerin, langjährige Redakteurin der Zeitschrift Ethik in der Medizin in Freiburg und Frankfurt/M.) wie auch Prof. Dr. Hans G. Ulrich (Sozialethiker an der FAU
Erlangen-Nürnberg, von Prorektor Wuermeling im Amt vereidigt, Mitgründer des Ethikkomitees) für ergänzende Notizen zur Vita danken.

Literatur
Bockenheimer-Lucius G, Seidler E (Hrsg) (1993) Hirntod und Schwangerschaft. Dokumentation einer
Diskussionsveranstaltung der Akademie für Ethik in der Medizin zum Erlanger Fall. Enke, Stuttgart

Büchner F (1945) Der Eid des Hippokrates. Die Grundgesetze der ärztlichen Ethik. Das christliche
Deutschland 1933 bis 1945. Vortrag der Katholischen Reihe. Herder, Freiburg i.Br.

Echinger K (2014) Schwangerschaft in Grenzbereichen von Medizin und Ethik. Die „Erlanger Fälle“ 1992
und 2007. Diss. med. FAU Erlangen-Nürnberg, Erlangen

Frewer A (Hrsg) (2019) Fallstudien zur Ethik in der Medizin. Beratungsbeispiele aus Ethikkomitees. FEM
1. Königshausen & Neumann, Würzburg

Hibbeler B (2012) Paracelsus-Medaille 2012: Auszeichnung für Vorbilder und Querdenker. Dtsch Arztebl
109(21):A-1097/ B-943/ C-935

Jonas H (1994) Brief an Hans-Bernhard Wuermeling. In: Hoff J, in der Schmitten J (Hrsg) (1994) Wann
ist der Mensch tot? Organverpfl anzung und „Hirntod“-Kriterium. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg,
S 21–27

Korzilius H (2019) Hans-Bernhard Wuermeling†: Rechtsmediziner und Medizinethiker. Dtsch Arztebl
116(11):A 537

Präsident/Vorstand der Bundesärztekammer (2012) Laudatio zur Verleihung der Paracelsus-Medaille an
Prof. Dr. med. Hans-Bernhard Wuermeling. 115. Deutscher Ärztetag in Nürnberg, 22.05.2012. https://
www.bundesaerztekammer.de/ueber-uns/auszeichnungen/traeger-der-paracelsus-medaille/2012/
wuermeling/. Zugegriffen: 21. März 2019

Wuermeling H-B (1953) Das Schicksal der konservativ und chirurgisch behandelten Pylorospastiker. Diss. med., Med. Fak. Marburg (27. Februar 1953; maschinenschriftlich 27 Blatt, 4 Seiten)

Wuermeling H-B (Hrsg) (1988) Leben als Labormaterial? Zur Problematik der Embryonenforschung. Im
Anhang: Richtlinien und ethische Orientierungen. Patmos-Verlag, Düsseldorf

Wuermeling H-B (1993) Sind Anfang und Ende der Person biologisch defi nierbar – oder wie sonst? In:
Frewer A, Rödel C (Hrsg) (1993) Person und Ethik. Historische und systematische Aspekte zwischen
medizinischer Anthropologie und Ethik. Erlanger Studien zur Ethik in der Medizin, Bd. 1. Palm &
Enke, Erlangen, Jena, S 101–110

Wuermeling H-B (1994) Von der Prognose zur prädiktiven Medizin. In: Frewer A, Rödel C (1994) Prognose und Ethik. Theorie und klinische Praxis eines Schlüsselbegriffs der Ethik in der Medizin. Erlanger Studien zur Ethik in der Medizin, Bd. 2. Palm & Enke, Erlangen, Jena, S 73–77

Wuermeling H-B (1997a) Der Richtlinienentwurf der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung und den Grenzen zumutbarer Behandlung. Ethik Med 9(2):91–99

Wuermeling H-B (1997b) Töten oder Sterbenlassen? Zur Frage der Patientenverfügung. Rothe, Passau

Wuermeling H-B (2002) PID – Vom Recht zur Pfl icht? In: Kolb S et al., IPPNW (Hrsg) (2002) Medizin
und Gewissen. Wenn Würde ein Wert würde. Eine Dokumentation über den internationalen IPPNWKongress. Erlangen, 24.–27. Mai 2001. Mabuse, Frankfurt/M., S 352–353

Wuermeling H-B (2009) Über Töten und Sterbenlassen. Z Lebensrecht (ZfL) 18(4):132–134

Wuermeling H-B (2010) Abtreibung – rechtsmedizinisch. In: Wittwer H, Schäfer D, Frewer A (Hrsg)
(2010) Sterben und Tod. Geschichte – Theorie – Ethik. Metzler, Stuttgart, S 297–299