Advance Care Planning

Koordination: Arnd May, Erfurt; Carola Seifart, Marburg; Ingmar Hornke, Frankfurt; Anna Wachter, Erfurt

Bericht zur Mitgliederversammlung 2023.

Definition von Advance Care Planning

Arbeitsprozess

In einem über zwei Jahre dauernden Prozess hat eine Unterarbeitsgruppe der AG ACP eine Definition für Advance Care Planning erarbeitet. Basierend auf einschlägigen Publikationen wurden relevante Elemente extrahiert und in mehreren Runden diskutiert. Die Ergebnisse wurden mehrfach mit der gesamte Gruppe diskutiert und revidiert. Diese Definition stellt einen Ausgangspunkt für die Arbeit der AG dar und kann sich im Laufe der Arbeit ggf. auch verändern. die Definition wird von einem begleitenden Glossar ergänzt, um ein einheitliches Begriffsverständnis zu ermöglichen.

Advance Care Planning (ACP) ist ein von einer dafür qualifizierten Person (Berater:in) begleiteter und strukturierter Prozess, bei dem eine Person über ihre Einstellungen und Lebenserfahrungen und sich daraus ergebende Werte und Wünsche nachdenkt und spricht. Daraus können gemeinsam Überlegungen abgeleitet werden, wie die künftige gesundheitliche Versorgung und die Versorgung am Lebensende gestaltet werden. So kann ACP die Selbstbestimmung stärken und eine personzentrierte Versorgung im pflegerischen, medizinischen, psychosozialen und spirituellen Bereich verwirklichen. Leitend sind Bedürfnisse und Bedarfe der zu beratenden Person. Konzeptionell bezieht die Berater:in weitere wichtige Akteure ein, wenn die zu beratende Person damit einverstanden ist (z.B. rechtliche Vertreter:innen, An- und Zugehörige, relevante Versorger). Ergebnisse des Prozesses können laufend schriftlich dokumentiert werden, insbesondere für den Fall der nicht (mehr) vorliegenden Einwilligungsfähigkeit. ACP wird freiwillig genutzt und richtet sich grundsätzlich an alle Menschen.

Blau hervorgehobene Begriffe sind im Glossar erläutert.

Glossar
BegriffErläuterung
Qualifizierte PersonDie Qualifikation der ACP-Berater:innen erfolgt nach den länderspezifischen Vorgaben, die die erforderlichen Kompetenzen und Inhalte beschreiben. Für Deutschland ist das die Rahmenvereinbarung (GKV Spitzenverband et al., 2017). Die begleitenden Personen müssen Berufserfahrung aus einer Tätigkeit im Gesundheitswesen mitbringen, aber nicht zwingend eine berufliche Qualifikation im Gesundheitswesen haben. 
Begleiteter ProzessDer Prozess wird von einer dafür qualifizierten Person begleitet. Sie unterstützt die zu beratende Person einerseits mit Sachinformationen zu Versorgungsmöglichkeiten, Dokumentation und rechtlichen Grundlagen der Vorausplanung. Andererseits fördert sie das Nachdenken und Auseinandersetzen der zu beratenden Person, die Reflexion über die Werte und Einstellungen und das Erkunden von Wünschen für die Versorgung durch fachlich fundierte Gesprächsanregungen/Fragen. Sie übernimmt die Prozessgestaltung nach den Wünschen der zu beratenden Person. 
LebenserfahrungenIm Laufe des Lebens sammeln Menschen Erfahrungen, die Einstellungen zu Gesundheit, Krankheit und Leiden prägen können. Das sind einerseits Erfahrungen mit eigener Krankheit und Abhängigkeit von der Unterstützung anderer, aber auch das Erleben von Krankheiten und Sterben anderer, nahestehender Personen sowie deren Pflege und Unterstützung. Andererseits gilt dies auch für prägende biografische Ereignisse, die nicht im Zusammenhang mit Krankheit stehen. Dabei ist nicht nur das konkrete Erleben relevant, sondern auch die Erfahrungen, die aus der Bewältigung dieser Situationen erwachsen und den Umgang mit zukünftigen Situationen prägen (Selbstwirksamkeit, Resilienz).Daher ist als Teil des ACP-Prozesses die Auseinandersetzung mit diesen Erfahrungen beispielsweise in Form von Biografiearbeit eine wertvolle Erkenntnisquelle. Dabei kann es u.a. darum gehen, wie der Mensch der geworden ist, der er ist, oder was seine individuelle Würde ausmacht. 
Gesundheitliche VersorgungDer Begriff „Versorgung“ ist der Versuch, den englischen Begriff „Care“ zu übersetzen. Care ist ein sehr vielschichtiger Begriff: Er kann mit Betreuung, Pflege, Zuwendung und Behandlung übersetzt werden. Das bedeutet also eine umfassende Versorgung in allen Dimensionen menschlichen Lebens. Wir beschreiben die Versorgung in der Definition daher genauer als „Versorgung im pflegerischen, medizinischen, psychosozialen und spirituellen Bereich“. In Gesprächen über die gesundheitliche Versorgung kann es u.a. darum gehen, über mögliche Therapie- und Pflegeziele zu sprechen.„Care“ beinhaltet aber auch die Dimensionen von Sorge, Sorgfalt, Fürsorge, Umsicht, Achtsamkeit und Bedacht. Auch dies möchten wir beim Begriff Versorgung mitgedacht wissen.
Versorgung am LebensendeDamit ist die ganzheitliche Begleitung von Personen, bei denen die Lebensverlängerung nicht mehr das primäre Ziel der Versorgung ist, gemeint. 
SelbstbestimmungSelbstbestimmtheit ist Ausdruck der Autonomie des Menschen. Zu beachten ist, dass die zahlreichen unterschiedlichen Autonomiekonzepte jeweils in ihren Grundannahmen wie in ihrer philosophischen Begründung umstritten sind. Als normativer Begriff beschreibt Autonomie das moralische Recht auf Selbstbestimmtheit eines Menschen unabhängig von seinen Eigenschaften oder Fähigkeiten. ACP basiert auf dem Konzept einer relationalen Autonomie. Relational bedeutet, dass Selbstbestimmtheit nur in sozialen Beziehungen realisiert werden kann. Daher ist die Definition auf dieses Autonomieverständnis hin ausgerichtet. Aufgrund des dialogischen Aufbaus der ACP-Prozesses kann die Selbstbestimmung der zu beratenden Person gestärkt werden, und zwar auch dann, wenn die Person selbst nicht mehr über die Fähigkeit zur Selbstbestimmung verfügt. In diesem Sinne ist ACP Baustein einer Befähigung zur Autonomie und ermöglicht eine zielgenaue Assistenz bei der Selbstbestimmung (Riedel et al 2022, S. 755)
Personzentrierte VersorgungPersonzentrierte Versorgung stellt den Menschen in seiner je individuellen Lebenssituation den Mittelpunkt. Werte, Bedürfnisse und Möglichkeiten der Betroffenen leiten alle Entscheidungen in der Versorgung. Personzentrierte Versorgung berücksichtigt den familiären und sozialen Kontext der Betroffenen. Betroffene und Gesundheitsfachpersonen führen einen gleichberechtigten und von Wertschätzung geprägten Dialog, um Betroffene zu unterstützen, ihre Wünsche zu formulieren und hiervon ein umfassendes Verständnis zu gewinnen. Personzentrierte Versorgung bezieht sich auf alle Beteiligten in einem Versorgungskontext (Betroffene, wie auch Gesundheitsfachpersonen). Über die individuelle Ebene hinaus ist auch die Gestaltung der Organisationsebene und der Systemebene auf personzentrierte Versorgung auszurichten. (Harden B., 2017, AGS Expert Panel, 2016)
Bedürfnisse und BedarfeUnter Bedürfnis verstehen wir, dass eine Person für sich einen Mangel, einen Wunsch oder einen Anspruch empfindet und diesen beheben/erfüllen möchte.Als Bedarf bezeichnen wir die benötige Assistenz zur Teilhabe und Gleichberechtigung sowie Wahrnehmung der eigenen Rechte. Dazu gehört auch die Assistenz, die benötigt wird, um individuelle Bedürfnisse zu artikulieren und zu erfüllen. 
Rechtliche Vertreter:innen, An- und ZugehörigeRechtliche Vertreter:innen sind Personen, die die zu beratende Person im juristischen Sinne vertreten dürfen. Dazu gibt es in Deutschland drei Möglichkeiten: Vorsorgebevollmächtigte (§ 1820 BGB), rechtliche Betreuer (§ 1814 BGB) und für einen Zeitraum von sechs Monaten im Notfall Ehepartner:innen bzw. eingetragene Lebenspartner:innen (nach dem Ehegattenvertretungsrecht, § 1358 BGB).Die Aufgabe von rechtlichen Vertreter:innen ist es, den Willen der Person zum Ausdruck zu bringen, falls diese es einmal selbst nicht (mehr) kann. Für eine adäquate Vertretung des Willens müssen sie den Willen der Person gut kennen. Damit sie den Willensbildungsprozess miterleben und Hintergründe von Entscheidungen verstehen, ist ein Ziel von ACP, Vertreter: innen einzubeziehen.An- und Zugehörige sind Verwandte und weitere nahestehende Personen, die keinen Vertretungsauftrag haben. Das können Freunde und Bekannte sein, aber auch Mitarbeitende einer Einrichtung, die die Person gut kennen. Sie können im Prozess unterstützen und wertvolle Informationen beitragen, beispielsweise, wenn im Beratungsprozess der Wille einer nicht mehr einwilligungsfähigen Person ermittelt wird. Die zu beratende Person entscheidet, wer in welcher Art und Weise und wann in den Prozess einbezogen werden soll. 
Relevante VersorgerRelevante Versorger sind die Einrichtungen und Personen, die die zu beratende Person aktuell versorgen oder künftig versorgen könnten. Sie können auf verschiedene Arten für den ACP-Prozess wichtig sein. als Informationsquelle zu Versorgungsmöglichkeiten: Ärzt:innen haben medizinische Informationen über Erkrankungen, Verläufe, Behandlungsmöglichkeiten und Prognosen, die entscheidungsrelevant sein können. Weitere Versorger kennen sich in ihrem Feld gut aus und können ggf. spezifische Fragen beantworten und Informationen vermitteln, z.B. der SAPV-Dienst.als Informationsquelle für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens:  Hausärzt:innen, die die Menschen lange begleiten, haben möglicherweise auch Kenntnis über Behandlungswünsche. Angehörige anderer Berufsgruppen wie Pflegende, Therapeut:innen oder Sozialarbeiter:innen, die die Person lange kennen, verfügen ggf. über wichtige Informationen darüber, was der Person wichtig ist und zu einer guten Lebensqualität beiträgt. als Umsetzer der Versorgungswünsche: SAPV, Rettungsdienste, Betreuungsvereine, Krankenhäuser und alle anderen an der Versorgung beteiligten Personen und Einrichtungen müssen wissen, was ACP ist, um die Versorgung nach dem Willen der Person umsetzen zu können. Behandlungswege müssen nach dem Willen der Person vorbereitet werden, damit in einer Krise klar ist, wie gehandelt wird (z.B.: wird die Notärzt:in gerufen, die Hausärzt:in oder das SAPV-Team? Will die Person ins Krankenhaus oder vor Ort bleiben? Braucht es präventiv Verordnungen bei zu erwartenden belastenden Symptomen?)
DokumentationDie Dokumentation richtet sich nach den Wünschen der zu beratenden Person und ist optional (also nicht verpflichtend). Sie ist an die Wirksamkeitsvoraussetzungen des jeweiligen Staates gebunden. Die Dokumentation muss nachvollziehbar, jederzeit verfügbar und rasch auffindbar sein. Das Anfertigen einer Dokumentation ist besonders sinnvoll, wenn die Ergebnisse der Gespräche in der Zukunft zugänglich sein sollen, z.B. wenn sich jemand selbst nicht mehr äußern kann. Für die Anwendung in Deutschland stehen mehrere Dokumente zur Verfügung: Patientenverfügung (§ 1827 BGB) Vorsorgevollmacht (§ 1827 BGB)Betreuungsverfügung (§ 1816 BGB)Willensäußerung (RV §2 Abs. 2 Fußnote 3, § 9)Dokumentation von Behandlungswünschen (§ 1827 BGB)Dokumentation des mutmaßlichem Willens (§ 1827 BGB)Notfallbogen (RV § 9). 
EinwilligungsfähigkeitEinwilligungsfähigkeit ist ein vorrangig rechtlicher Begriff, der im Kontext der gesundheitlichen Versorgung verwendet wird, um zu beschreiben, ob eine Person in eine bestimmte medizinische oder pflegerische Maßnahme einwilligen kann oder nicht: „Einwilligungsfähig ist, wer Wesen, Bedeutung und Tragweite der in Frage stehenden Maßnahme erfassen, das Für und Wider abwägen und auf dieser Basis eine Entscheidung treffen kann.“ (BÄK 2016, S. 2). Mit der Einwilligung gestattet die Person einen Eingriff in ein Rechtsgut, im Falle einer Einwilligung zu einer medizinischen Maßnahme das Rechtsgut der körperlichen Unversehrheit (BÄK 2016, S. 2).Im Falle der Einwilligungsunfähigkeit für eine zu entscheidende Maßnahme muss der Wille der Person von der rechtliche:n Vertreter:in (s.o.) zum Ausdruck gebracht werden. 
FreiwilligkeitDie Beratung wird aus eigenem freien Willen, ohne Einforderung durch An- und Zugehörige, rechtliche Vertreter:innen oder Gesundheitsfachpersonen in Anspruch genommen. Es sollte jedem selbst überlassen sein, ob und wie er das Beratungsangebot wahrnehmen möchte. Eine Verpflichtung zur Inanspruchnahme durch Einrichtungen oder nur der Eindruck, die Inanspruchnahme der Beratung sei sozial gewünscht, ist nicht zulässig. 
richtet sich an alle MenschenJedem Menschen sollte der Zugang zu einer ACP-Beratung ermöglicht werden. Dabei sollte der Zugang weder an den aktuellen Wohnort noch an den Gesundheitszustand, die Lebenssituation oder das Alter gebunden sein. Um den Zugang niedrigschwellig zu gestalten, sollten Informationen zu ACP und Beratungsangebote einfach zu finden, in einfacher oder Leichter Sprache (ggf. auch in Fremdsprachen) verfasst und kostenlos erreichbar sein.
Literatur

GKV-Spitzenverband. Vereinbarung nach § 132g Abs. 3 SGB V über Inhalte und Anforderungen der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase. 2017.

Harden B. Person-centred approaches: Empowering people in their lives and communities to enable an upgrade in prevention, wellbeing, health, care and support. Health Education England. 2017.

Neitzke G, Burchardi H, Duttge G, et al. Grenzen der Sinnhaftigkeit von Intensivmedizin: Positionspapier der Sektion Ethik der DIVI. Med Klin – Intensivmed Notfallmedizin. 2016;111:486–492.

The American Geriatrics Society Expert Panel on Person-Centered Care. Person-Centered Care: A Definition and Essential Elements. Journal of the American Geriatrics Society. 2016;64(1):15-8.

Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer. Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsassistenz in der Medizin. Dtsch Arztebl. 2016;113(15).

Veröffentlichungen

Professionalität der Gesprächsbegleitenden und Freiwilligkeit der Teilnehmenden als ethische Herausforderungen von Advance Care Planning

Seifart C, Heubel F, Schmidthuber M, Kropf M: Professionalität der Gesprächsbegleitenden und Freiwilligkeit der Teilnehmenden als ethische Herausforderungen von Advance Care Planning, Ethik in der Medizin (2024) 36:55–70, doi.org/10.1007/s00481-024-00796-8.

Konstituierende Sitzung der neu gegründeten Arbeitsgruppe „Advance Care Planning“.

Wachter A, Karschuk P: Konstituierende Sitzung der neu gegründeten Arbeitsgruppe „Advance Care Planning“, Ethik in der Medizin (2022)34:269–273, doi.org/10.1007/s00481-022-00689-8